„Am besten hilft die Zeit“
Mein Großer hat ein neues Hochbett! Endlich ist es nicht nur da, sondern auch aufgebaut. Es ist hoch (klar), weiß, und es hat eine Leiter an der linken Seite. Unten ist Platz für eine „Kuschelkoje“. Und das i-Tüpfelchen? Es ist genauso wie das alte! Nur eine Kletterwand ergänzt das Szenario, die gab es vorher nicht. Das mag auch der Grund dafür sein, dass sie bisher ungenutzt ist…
Was habe ich im letzten Jahr an Bildern von den unglaublichsten Hochbetten aus dem World Wide Web herausgesucht, einen spezialisierten Schreiner kommen lassen, der eine Hochebene für einen Bald-Teenager konzipiert hat und mir selbst Gedanken gemacht. Mir überlegt, was ich in dem Alter toll gefunden hätte: kleine Regale über dem Bett, Ablagefächer, eine Verbreiterung für Bücher und so weiter und so fort. Dabei hätte mir doch eigentlich klar sein müssen, was ER wichtig findet: möglichst KEINE VERÄNDERUNGEN!
Nach knapp zwei Jahren ist aus dem Plan, ein neues Bett anzuschaffen, aber nun endlich Wirklichkeit geworden. Mein Großer hat aus dem neuen Bett einen leicht anderen Blick als aus dem alten, sagt er. Die Liegefläche scheint ein wenig höher zu sein, ebenso die seitliche Begrenzung – dadurch hat sich die Perspektive auf das Zimmer, auf die große Kastanie vor dem Fenster und auf das Hausdach des Nachbarn, das er aus seinem Bett sieht, verändert. Das ist nicht leicht für ihn. Das ist WIRKLICH nicht leicht für ihn. Aber er mag das Bett. Und in den meisten Nächten schläft er dort auch. Das ist schonmal gut.
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Seit vier Jahren fahren wir gewissermaßen traditionell auf einen Erlebnis-Bauernhof. Beim 1. Mal hatten wir direkt ein ganz tolles Zimmer: die Nr. 48. Beim 2. Mal auch – „unsere“ Nummer 48! Was für eine Freude! Beim 3. Mal nicht. Au weia.
Beim Check-In wurde uns die Nachricht freundlich vermittelt: in Zimmer 48 schläft das Hochzeitspaar, das morgen auf dem Hof heiratet, und wir hätten natürlich ein gleichwertiges Zimmer. Aber nicht dasselbe.
Ich spürte, wie es meinem Großen neben mir den Boden unter den Füßen wegzog. Ich spürte seine Anspannung und seine Ungläubigkeit. Sein gesamtes gedankliches Konstrukt des Urlaubs, die minutiös gestaltete Vorstellung des Ablaufs unserer Tage hier, der Moment des ersten Betretens unseres Zimmers, das Bewusstmachen aller Sinneseindrücke, der Geruch, die Optik, die Haptik, die Geräusche- das gesamte, über Monate gedanklich aufgebaute „Urlaubshaus“ – um sich vorzubereiten, einzustellen, verkraften zu können, begann bedrohlich zu wackeln.
Und ich? Ausnahmezustand! Panik! Eine Million Gedanken gleichzeitig: wo ist das Hochzeitspaar? WER ist das Hochzeitspaar? Freunde des Inhabers? Oder schlimmer: des Rezeptionisten? Wo ist meine Reservierungsbestätigung? Hatte ich mir nicht die Nr. 48 bestätigen lassen? Nein, machen sie nicht, sie garantieren keine Zimmernummern. Ach so. Wie entferne ich meinen Sohn aus der Situation und löse sie gleichzeitig? Wie verhindere ich einen Ausbruch meines Großen während ich gleichzeitig mit dem Rezeptionisten die Situation kläre? Ein kurzer Moment der Hoffnung, dass mein Sohn ein anderes Zimmer verkraften würde, steigt als alternative Lösungsoption in mir auf – bis ich nach rechts schaue und seine zitternde Unterlippe und seine tränengefüllten Augen sehe. Failure is not an Option. Mama hat eine Mission.
Wie ganz genau weiß ich nicht mehr, aber irgendwie haben wir ca 30 Minuten später das Zimmer Nr. 48 betreten. Kein Ausbruch, kein Hausverbot, kein Abfahren.
Ich schließe den Rezeptionisten noch heute in mein Nachtgebet ein.
Es gab dann noch kleinere Veränderungen im Hof-Konzept. Die haben „wir“ nach dem Schock aber alle weggeatmet.. Schließlich stand ja das Gesamtkonstrukt wieder auf sicheren Mauern. Kleinere Anpassungen im Interieur waren dann ok.
Wenn ich mir vorstelle, durch welche Schmerzen er bei diesen Veränderungen gehen muss, möchte ich nicht in seiner Haut gesteckt haben, als die drei größten Veränderungen seines Lebens (Umzug, Einschulung, Geburt des kleinen Bruders) innerhalb kürzester Zeit stattgefunden haben… tapferer, großer Junge. Ich bin stolz auf dich!
Mein Großer erzählt:
„Warum mir Veränderungen so schwer fallen, weiß ich auch nicht so genau. Als ich einen neuen Schulranzen bekommen sollte, da war es so schwer, den alten herzugeben, einfach weil er dann weg war. Und auch mein Bett. Es ist ja einfach weg.
Das einzige was hilft, ist Zeit. Sie muss vergehen. Irgendwann komme ich dann damit klar.
Die größte Umstellung meines Lebens war, als mein kleiner Bruder geboren wurde. Letzten Sommer, als er knapp vier war, ist er mal im Hafen von Palma verschwunden. Ich hatte so eine Panik, dass wir ihn nie wiederfinden. Das hat mir gezeigt, dass ich ihn richtig lieb habe. Seitdem geht es besser.“
„es ist genauso wie das alte“ und „Zimmer 48“ – welch eine eigene Welt und wie gut zu lesen, dass unser Großer offensichtlich Probleme hat, die eben nur anders sind als unsere und ihr als Eltern immer mehr Erkenntnisse und Verständnis, zusätzlich zu der Liebe und Fürsorge, bei deren Bewältigung einbringt. Bravo liebe Katrin.
Liebe K., jeden Samstag freue mich über die Mail mit der Erinnerung, bis ich dann anfange zu lesen dauert manchmal ein paar Tage! Ich kann diese tollen und liebevollen Zeilen nicht so nebenbei lesen! Mich bewegen die Worte so, dass ich nicht selten feuchte Augen bekomme – ich sentimentale alte Mama!
Zu kurze Röcke meiner Tochter, oder zum 100000. Mal verbummelte Klamotten sind andere Probleme….die sind wirklich lächerlich!
Habt eine gute Woche ihr 4
Eure B