Der PanDA sucht zu sein Hause. Pathological Demand Avoidance PDA, Teil II
Der junge Panda Paul wird eines Tages aufgefordert, sein gemütliches Plätzchen, auf dem er immer so zufrieden rumsitzt und an Bambusstangen knabbert, zu verlassen. Er soll mitkommen zu den anderen jungen Tieren, die in den Bäumen rumhängen und buntes Blattzeug essen. Abwechslungsreiche Ernährung und in Bäumen abhängen ist nämlich gesund!Paul ist zwar nicht ganz überzeugt, aber er geht mit. Gucken kann man ja mal.
Doch das abwechslungsreiche Blattzeug ruft schon beim Anblick Unwohlsein bei ihm hervor – sein Magen ist wie zugeschnürt, sein ganzer Körper kribbelt und gibt deutlich zu verstehen: auf keinen Fall wandert DAS DA in mich rein!
Und als er dann sieht, wie die anderen Tiere so in den Ästen hängen und er sich vorstellt, dass er da auch gleich baumeln soll, bekommt er richtig dolle Angst! Regungslos steht er da. Eigentlich möchte er weglaufen, doch er ist wie gelähmt. Da oben soll ich rauf? Was, wenn ich falle, was wenn der Ast bricht? Ich kann das nicht!
Die anderen rufen: „Komm schon! Das macht echt Spaß, es ist lustig und man lernt es schnell!“
Eines von den erwachsenen Tieren klopft ihm aufmunternd auf den Rücken: „Komm, Paul wir trainieren erstmal deine Arme und Beine etwas und mit ein paar Pfund weniger klettert es sich dann richtig gut! Und das bunte Blattzeug hier: es wird dir schmecken, probier es mal!“
Innerlich ist Paul völlig außer sich. Er spürt, wie die Tränen in ihm aufsteigen. Warum können die das? Warum hab ich solche Angst? Irgendwie will ich das alles versuchen, aber ich glaub, ich schaff das nicht! Doch er traut sich nicht, zu sagen, dass er das nicht will. Dass er das nicht KANN. Dass er glaubt, dass er nicht so ist, wie die anderen Tiere und dass er einfach nur noch Angst hat. Dass er wirklich gerne ein Einzelgänger ist und noch nie in Bäumen gehangen hat und dass er am liebsten nur Bambus isst. Er will zu seiner Mama, die soll den anderen das sagen! Mama!!!!!
„Komm mit, wir versuchen es gemeinsam!“, sagt das erwachsene Tier zu ihm. NEIN! schreit alles in Paul, er spürt den dicken Kloß in seinem Hals, seine zittrigen Beine und die Tränen in den Augen. Als das erwachsene Tier ihn dann am Arm packt, faucht Paul ihn böse an. Er fletscht die Zähne und entzieht sich unwirsch seinem Griff.
Jetzt wird endlich seine Mama geholt, gleich wird alles gut.
Als seine Mama ankommt, muss sie erst mit dem erwachsenen Tier sprechen. Dann kommt sie zu ihm und sagt: „Paulchen, du musst da jetzt auch mitmachen. Jeden Tag. Sie sagen, dass es gut für dich ist. Probierst du es mir zuliebe?“
Jetzt rastet Paul endgültig aus! „Ich mach da nicht mit! Niemals! Das könnt ihr vergessen!“ Er weint und schreit und seine Mama nimmt ihn wütend mit nach Hause.
Als Paul später wieder auf seinem angestammten Panda-Plätzchen sitzt und wieder ein Einzelgänger und „ich-mag-nur-Bambus-Esser“ sein darf, so wie Pandas eben sind, denkt er nochmal über alles nach. Er hätte ja gerne mal Gesellschaft, und das mit dem im-Baum-abhängen, das würde er eigentlich versuchen wollen. Sogar bunte Blätter, wenigstens dran schnuppern, könnte er doch mal probieren. Warum war seine Angst so groß? Warum ist er so böse geworden? Weshalb hat er sich verweigert? Könnte er das nicht überwinden? Den zugeschnürten Magen, die Angst vor dem Baum? Könnte er nicht wirklich seine Arme und Beine trainieren und ein paar Pfund leichter werden, damit die Äste ihn halten? Seine Mama wäre glücklich. Und er irgendwie auch, denn eigentlich wünscht er sich das alles auch ein bisschen.
Als er diesem Wunsch innerlich nachhängt, spürt er die Angst wieder aufsteigen. Der Magen schnürt sich zu, die Tränen steigen wieder auf, alles in ihm schreit NEEEIIIIIIINNN!!!! Dafür bist du nicht gemacht!! Dein Magen nicht, deine Arme nicht, deine Beine nicht, du bist ein Panda, du sitzt und isst Bambus. Du kannst es nicht! Ich bin dein Angstzentrum und ich beschütze dich! Ich sage Dir, dass Du dafür nicht gemacht bist, dass du das nicht kannst, und ich werde dafür sorgen, dass du mir, deinem Angstzentrum, zuhörst, denn dein Überleben ist meine Aufgabe!!!
Paul ist traurig. Sein Inneres schreit: Ich will mitmachen! Sein anderes Inneres schreit auch: NEIN! Dafür bist du nicht gemacht! Es ist ein Dilemma. Welches Inneres hat denn recht? Können beide recht haben? Und wenn ja – gleichzeitig? Abwechselnd? Wie soll man denn damit klarkommen???
Und dann gibt es da noch die Geschichte vom 11-jährigen Elias und seiner Mutter Mara:
„Ich geh nicht in die Schule! Hau ab! Du bist die gemeinste Mutter der Welt! Ich HASSE DICH!!!!!“ Elias‘ Wutausbruch gilt seiner Mutter Mara, die traurig und ratlos ein paar Schritte vor ihm herläuft. Dank ihrer Engelszungen und Samthandschuhe haben sie es zumindest schonmal bis in die Straße seiner Schule geschafft. Doch jetzt, wo es nur noch gute 100 Schritte bis zum Schultor sind, kann Elias seinen inneren Druck nicht mehr halten und explodiert förmlich.
Klarer Fall von tyrannischem Verhalten, das wissen die guten Eltern seiner Schulkamerad:innen sofort, als sie Zeugen dieser Szene werden. Mit ein bisschen mehr Konsequenz und Strenge wird das schon, wissen die, deren Nachwuchs gerade heiter plaudernd neben ihnen zur Schule läuft, und die nachmittags noch schnell ihre Hausaufgaben erledigen, bevor sie zu ihrem Hobby aufbrechen: Freunde treffen, Sport machen, vielleicht ein Instrument erlernen.
Und da sich ja bekanntlich nichts leichter erzieht als die Kinder anderer Leute, wird in diesen Momenten auch gerne mal ein aufmunternder Tipp verteilt: „Ja, solche Phasen gibt es. Da muss man dann etwas härter durchgreifen, um die kleinen Tyrannen wieder zurechtzurücken. Wir streichen bei unseren Kindern dann immer die tägliche Medienzeit. Probieren Sie’s mal!“
Elias‘ Mutter, die durch diesen guten Rat nun eigentlich erleuchtet sein sollte, schreit zurück: „Das ist keine Phase! Das ist unser Leben!“
Aber das sie schreit nur innerlich. Sie weiß, dass ihr niemand glaubt. Das soziale Umfeld nicht, und die Expert:innen auch nicht. Sie war mit Elias schon so oft bei Psycholog:innen und Ärzt:innen und hat um Rat gefragt. Denn sie hat alles versucht: Routinen, Regeln, Belohnungen, Bestrafungen, Konsequenz, Strenge, alles, was man so weiß und hört von anderen, und auch alles, was in Büchern und Ratgebern steht. Doch nichts hilft im Alltag, es kommt immer wieder zu diesen Wutausbrüchen, wenn er etwas „soll“. Auch schöne Sachen wie Ausflüge ins Freibad oder auf den Weihnachtsmarkt, vielleicht mal Freunde treffen, die gleichaltrige Kinder haben – alles geht nach hinten los und nichts scheint zu helfen.
Elias wurde auch bereits getestet. Auf ADHS, Autismus und soziale Angststörung – doch kein Verdacht hat sich bestätigt. Zwischen den Zeilen hat Mara dafür gehört: unfähige Erziehung, Helikoptermutter, vielleicht sogar ihr eigener Wunsch, dass ihr Kind eine Störung hat, damit es behandelt wird. Münchhausen Stellvertreter Syndrom!? Danke auch.
Mara selbst glaubt nach vielen Monaten nächtlicher Recherchen daran, dass Elias unter der Pathological Demand Avoidance (PDA), dem pathologischen Vermeiden von Anforderungen, leidet. Und sie leidet auch. Mit ihrem Kind.
Was ist das, PDA? Das Phänomen scheint in einem engen Zusammenhang mit Autismus zu stehen, schreiben der deutsch-schweizerische Fachverein PDA-Autismus-Profil FAPDA FAPDA – Fachverein PDA-Autismus-Profil (pda-autismus-verein.org) und die britische PDA Society PDA Society – Pathological Demand Avoidance auf ihren Homepages. Hier werden Hintergründe erklärt, Symptomchecklisten bereitgestellt und auch Strategien angeboten, die im Alltag angewendet werden können, und auf die Elias sogar gut reagiert.
Mara ist froh, dass es diese Internetseiten gibt, sie machen ihr Hoffnung darauf, dass ihnen geholfen werden kann und sie zeigen, dass es auch andere gibt, die das gleiche durchmachen.
In letzter Zeit kann sich Mara überhaupt mit immer mehr Menschen über PDA austauschen, denn das Phänomen findet rasant wachsende Beachtung. Immer mehr Familien haben den Eindruck, dass es unter ihnen Betroffene gibt, und sie vernetzen sich untereinander.
Doch die, an die sich Mara bisher gewendet hat, um Hilfe zu erhalten, suggerierten ihr, dass dieses Phänomen eine Einbildung sei. Oder eine willkommene Erklärung für ihre Ratlosigkeit als Erziehungsperson, denn PDA gäbe es eigentlich gar nicht so richtig.
PDA gibt es nicht? Also – auf dem unlängst in Hamburg durchgeführten 1. PDA-Fachtag waren über 300 Menschen. Die hab ich selbst gesehen, die hab ich mir nicht eingebildet. Die gab es.
Die erste Referentin, Antje Horn-Engeln vom Elternverein Autismus Hamburg e. V. https://www.autismushamburg.de/ berichtet hier, dass sich zum ersten PDA-Themenabend ihres Vereins vor einiger Zeit direkt 150 Menschen angemeldet haben – anstelle von etwa 20, so wie sonst zu ihren Themenabenden.
Gibt man auf Instagram #pda ein, findet man über eine halbe Million Einträge, und auch auf Different Planet ist der Beitrag Der Panda in Dir Der Panda in Dir – DifferentPlanet, der erste zu PDA auf diesem Blog, seit fast einem Jahr der mit Abstand meistgelesene, und der, zu dem ich am häufigsten E-Mails erhalte.
Hier sitze ich also auf einem PDA-Fachtag, auf dem vier Referentinnen – eine Ärztin, eine Sonderpädagogin, eine Elternvertreterin und eine Mutter – das Phänomen für etwa 300 Anwesende greifbar machen. Das alles spricht dafür, dass es PDA gibt und dass es keine Einbildung ist.
Und nicht nur das: je länger ich zuhöre, desto mehr bekomme ich durch die Intensität der Vorträge und Rückfragen den Eindruck, dass es PDA nicht nur gibt, sondern dass es auch brennt- in Seelen, Herzen und Köpfen von Betroffenen, Angehörigen und Expert:innen.
Die Fachärztin für Psychiatrie und Co-Präsidentin Schweiz des FAPDA, Dr. Nicole Chou-Knecht, erläutert hier, dass PDA gar nicht so neu ist. Bereits 1980 gab es eine erste Konzeptualisierung von PDA durch die Psychologin Elisabeth Newson1, und heute, fast 45 Jahre später, gehen viele, z. B. der FAPDA, davon aus, dass PDA eine neurobiologische Ursache hat. Die gezeigten Symptome der Betroffenen basieren auf einem ständig hoch erregten Nervensystem, das auf Veränderungen der Umwelt oder auf Einflüsse von Reizen permanent mit Panik reagiert: FIGHT, FLIGHT or FREEZE schreit ihr Angstzentrum die ganze Zeit, kämpfe, flüchte oder stell dich tot – so beschreibt es die Fachfrau in ihrem Vortrag.
Eine eigene Diagnoseeinheit stellt PDA nicht dar, doch sind die Hauptsymptome im Internationalen Klassifikationsmanual ICD-11 bei der Beschreibung des autistischen Spektrums aufzufinden, erklärt Nicole Chou-Knecht.
Es gibt selbstverständlich auch andere Meinungen dazu. Eine davon ist, dass aufgrund des aktuellen Forschungsstands kein Zusammenhang mit dem autistischen Spektrum gesehen werden kann. Vertreter:innen dieser Meinung möchten PDA viel eher als ein Verhaltensprofil verstehen, das unangemessene Reaktionen schlecht erzogener Kinder auf die psychischen Probleme ihrer Erziehungspersonen beschreibt2.
Die beiden Perspektiven sind fast schmerzhaft unterschiedlich, doch vielleicht lädt genau DAS das Thema PDA mit ausreichend Kraft auf, um zielführend weiterkommen zu können.
Und mal am Rande bemerkt: sogar, wenn PDA ein Verhaltensmuster schlecht erzogener Kinder wäre, die darüber die psychischen Probleme ihrer überforderten Eltern in unterschiedlichen Zusammenhängen spiegeln, hätten die betroffenen Familien es verdient und dringend nötig, dass man ihnen zuhört, glaubt und hilft.
Was genau soll man ihnen denn glauben? Dass die Kinder ihre Eltern anschreien und nicht zur Schule möchten? Dass sie ausrasten, weil sie ihren Teller wegräumen sollen? Nee. Dafür scheint zumindest niemand der heute Anwesenden einen ärztlichen Rat zu brauchen. Die Fragen, die hier gestellt werden, sind anders. Sie drehen sich um verzweifelte Sorgen von Eltern, die ihre Kinder depressiv, verängstigt und unter ihren Zwängen leidend sehen. „85% von ihnen haben Suizidgedanken und 65% zeigen selbstverletzendes Verhalten“, erklärt Nicole Chou-Knecht während ihres Vortrags in Hamburg. Ich traue meinen Ohren kaum! Was sind denn das für Zahlen?! Dazu hören wir von sozialer Isolation, nicht vorhandenem Selbstwertgefühl, Angststörungen und Depressionen, die gemeinsam mit den PDA – Symptomen gezeigt werden. Mir verschlägt es fast die Sprache. Wieso hilft denn keiner?? Weil es „nur“ Erziehungsversagen sein könnte?
Ich schaue mich im Saal um. Von den 300 Anwesenden würden also statistisch 255 ihre Kinder in Suizidgedanken und 195 zu selbstverletzendem Verhalten treiben…? Ich weiß ja nicht.
Dass ich es mir mit dieser Betrachtung etwas zu einfach mache, ist mir klar. Doch dass man es sich ebenso ein bisschen zu einfach macht, wenn man die Betroffenen und ihre Angehörigen nicht ernst nimmt, weil das wissenschaftliche Zuhause des Phänomens noch nicht geklärt ist, liegt für mich ebenso klar in der realen Luft dieses nicht eingebildeten Fachtags.
Wieso ist die Ablehnung gegenüber PDA denn nun so groß? Was führt dazu, dass nicht geglaubt wird, dass Hilfebedarf in Frage gestellt wird und dass vor allem Eltern von Betroffenen so stark stigmatisiert werden, dass man ihnen psychische Probleme bis hin zum Münchhausen Stellvertreter Syndrom unterstellt und daraufhin immer noch Hilfe verweigert?
Liegt es daran, dass die Betroffenen in aller Regel eine hohe Kognition aufweisen und durch lückenloses Beobachten Anderer ein vermeintlich reguläres Verständnis sozialer Situationen „hinmaskieren“ können? Sie also so unglaublich „normal“ wirken können und die Kehrseite der Medaille häufig und anfänglich ausschließlich zu Hause zeigen?
Warum glaubt Eltern von betroffenen Kindern niemand, wenn sie sagen „Das hier ist anders. Das ist keine normale Ermüdung nach Schule und einem langen Tag. Hier gibt es ein Problem, aber ich weiß nicht welches, bitte helft mir“? Wo haben wir uns da reingeritten, dass wir mit den Augen rollen und andere verurteilen, bis unendliche viele zeitliche, finanzielle und personelle Ressourcen erschöpft wurden, damit es eine fachärztliche Bezeichnung und damit vermeintlich objektive Verifikation des Hilfebedarfs gibt? Und liegt diese endlich vor, geht es ja erst so richtig los: Ämter, Sachverständige, Anträge, Schulkonferenzen, Wartezeiten – bis, ja bis vielleicht, eventuell, in Ausnahmefällen genehmigt wird, dass dieses Kind im Musikunterricht, wenn Instrumentenkarussell auf dem Tagesplan steht, nach nebenan gehen darf, um ein kleines, stilles Referat vorzubereiten. WOW!
Mit im Paket der Sonderbehandlung: das untrügliche Signal für das werden wir eurem Jungen / Mädchen hier schon noch aberziehen, wenn ihr das zu Hause nicht hinbekommt. Regeln gelten eigentlich für alle, wisst ihr das nicht?
Manchmal denke ich, dass man schneller zum Ziel käme, wenn man weniger Kraft in die Erfassung unsichtbarer Behinderungen und dafür mehr in ein gemeinschaftliches Verständnis von Inklusion und Diversität stecken würde. Egal, wo man hinhört: Jugendämter, Sozialämter, Diagnostikzentren, Therapiepraxen jeglicher Art: alle haben geschlossene Wartelisten. Es gibt keine Kapazität mehr. Die, die Hilfe und Inklusion brauchen, sind schon lange keine kleine Minderheit mehr, über die man innerlich die Augen rollen sollte.
Es gäbe noch so viel vom 1. PDA-Fachtag zu berichten. Mehr von Dr. Chou-Knechts wissenschaftlichen Erläuterungen, so vieles von den durch die Sonderpädagogin Sarah Weber vorgestellten Hilfsstrategien, die Betroffenen ihren Alltag erleichtern können und von Vivian Weiss, eine der Mütter, die im Buch Zirkus im Kopf über ihr Leben mit einem PDA-Kind berichten.
Natürlich wollte ich auch vom Verlag Hamburger Perspektivwechsel Media berichten, die nicht nur Zirkus im Kopf herausgegeben haben, sondern diesen 1. PDA-Fachtag initiiert und durchgeführt haben. Das war mutig! Es war wichtig, und er war sicher auch ein Erfolg – für jede:n aus anderen Gründen.
Doch nun ist dieser Beitrag ganz anders geworden. Der Fachtag war für mich erkenntnisreich, doch vor allem hat er ganz viele neue Fragen in mir aufgeworfen und mir so die Komplexität von PDA nähergebracht. PDA kreist aus meiner Sicht nicht um Demands im Sinne von Aufgaben, sondern um die Reaktionen auf Erwartungen. Offenbar explodieren diese Reaktionen in den Betroffenen völlig unabhängig von der Qualität der Erwartung. Es geht nicht um gut oder schlecht, schwarz oder weiß, Gummibärchen oder Schulaufgaben. Für mich erscheint es so, als hätte das Angstzentrum hier die Vorherrschaft übernommen und würde bei jedem Knacken im Unterholz nach vorne springen und schreien GEFAAAAAAHR!!! RENN WEG!!! DU HAST NICHT DIE FÄHIGKEITEN, DAS ZU SCHAFFEN!
Ob – falls es so wäre – das Angstzentrum immer recht hat, oder ob es überreagiert, ob man mit diesem Zentrum üben kann, nicht so zu explodieren und trotzdem seine Aufgabe wahrzunehmen und ob das alles etwas mit psychischen Problemen von anderen zu tun hat, das weiß ich nicht. Das wissen andere, da bin ich sicher.
Wünschen würde ich mir, dass Menschen, die um Hilfe bitten, ernst genommen und nicht stigmatisiert werden. Vielleicht könnte man für Panda Paul – ohne vorher einen Diagnosewahnsinn aufzuführen –einen Weg finden, wie er bei den anderen jungen Tieren sein kann und vielleicht einen Handstand lernt, während die anderen im Ast baumeln. Und vielleicht könnte man auch Mara und Elias eine Chance geben, sich zu erklären und ihr Erleben und ihre Ideen, wie es gehen könnte, zu schildern, ohne dass all die Diagnose-Ressourcen erschöpft werden, weil sie ja in Wirklichkeit nur unfähige Gestörte sind. Die so gesparten Ressourcen kann man dann zur Umsetzung von Hilfe nutzen.
Am Ende lande ich immer wieder am gleichen Punkt: wir müssen über Inklusion und Diversität reden. Sie als leere Worthülsen in Beschlüsse zu schreiben, ohne zu sagen, wie das geht, oder Mittel dafür einzuplanen, wird die Idee erfolglos bleiben. Und: dafür man muss vor allem denen zuhören, die momentan noch als die Gestörten gelten, und nicht nur denen, die über sie urteilen. Sonst wird’s nix.
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1 Woods, R. (2021). Pathological Demand Avoidance (PDA). In: Volkmar, F.R. (eds) Encyclopedia of Autism Spectrum Disorders. Springer, Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-319-91280-6_102293
2 Inge Kamp-Becker, Ulrich Schu, and Sanna Stroth. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie 2023 51:4, 321-332. Pathological Demand Avoidance – aktueller Forschungsstand und kritische Diskussion