– wird sie halt wütend. Daran ist wahrscheinlich nichts Ungewöhnliches festzustellen. Jeder wird mal wütend, auch Seelen. Meine jedenfalls wurde wütend. Sehr wütend. Und mit jedem Tag mehr, an dem sie wütend war, und ich sie nicht beachtet habe, wurde sie noch wütender. Sie ist so unglaublich wütend geworden, dass sie jetzt nicht mal mehr auf die Frage antworten will, wann ihre Wut begonnen hat und warum. Jetzt sorgt sie einfach nur noch dafür, dass ich sie nicht mehr übergehen kann. Sie lässt mich nicht mehr schlafen, nicht mehr essen und nicht mehr ausruhen. Sie lies mich bis vor ein paar Tagen nicht mal mehr schreiben.
Jetzt fangen wir ganz von vorne an, sie und ich. Wir machen gewissermaßen eine Paartherapie. Wir wollen Frieden schließen, wieder Freundinnen werden. Sie ist schon so lange nicht mehr meine Freundin, zumindest behandele ich sie nicht mehr wie eine Freundin. Dabei sollte sie meine allerliebste Freundin sein! Die beste die ich habe. Die, die immer zu mir hält, in jeder guten und in jeder schlechten Minute, die, auf die ich mich immer verlassen kann, die mir Sicherheit und Halt gibt – und so sollte ich sie auch behandeln.
Stattdessen war ich unfreundlich und ignorant zu ihr. Und sie hat irgendwann angefangen, sich zu wehren. Ihre Sprache wurde immer deutlicher: Ängste, Zwänge und zerstörerische Rituale. Sie hat sich in den Kopf gesetzt, mir zu beweisen, dass sie da ist, egal wie sehr ich sie ignoriere.
Dabei hat es doch so lange so gut funktioniert! Das Ignorieren, mein ich. Und ICH hab erst funktioniert! Ha! Voller Energie und Tatendrang, ich schaffe alles, es läuft doch prima. Ein offenes Ohr für Jedermann und Jederfrau und Jederdivers – Gute Laune immer inklusive! So lange ich immer weitermache, immer in Aktion bleibe, jedes Problem löse, das sich mir in den Weg stellen möchte und solange ich niemals ruhe- solange klappt doch alles… Ich war von morgens um 04h bis abends 21h „im Modus“. Den Blick stur nach vorn. Alle Sinne ausgeschaltet. Dafür Scheuklappen, Noise Canceller, Ritterrüstung. Und Action. Immerzu. Ohne Pause, ohne Ruhe.
Was hat das jetzt alles mit diesem Blog und meinem Leben mit einem Asperger zu tun? Warum gehört das hierher?
Ich glaube, Mutter eines Aspergers zu sein, hat mir einfach den Rest gegeben. Ich habe in letzter Zeit viel darüber nachgedacht, ob es ein Problem für mich ist, ein autistisches Kind zu haben. Ich bin mittlerweile bereit, mir Einiges einzugestehen, anstatt es wegzudrücken, zu betäuben oder davor wegzulaufen. Doch ich komme immer wieder dahin, dass das nicht der berühmte Kasus Knaxus ist. Nicht mein Sohn oder der Autismus sind das Problem. Das Problem ist, dass ich meine Überforderung mit den emotionalen Begleitumständen weder wahrgenommen habe, noch mir hätte ein- oder sogar zugestehen können. Sie äußern und am Ende noch um Hilfe bitten?! Undenkbar. Ich wusste ja gar nichts davon, dass ich Hilfe brauche.
Zu Angst, Wut und Trauer gesellte sich dann auch noch die Schuld. Weil ich mein Kind in seiner Besonderheit bis zur Diagnose vor ca 5 Jahren nicht so angenommen habe, wie es ist. Ich hab immer versucht, ihn „normal“ zu machen. Ich mache mir Vorwürfe. Die macht mir sonst übrigens keiner. Nur ich. NUR ich, im Sinne von ausschließlich ich. Deswegen nützen auch all die gut gemeinten Versuche meiner Lieben nichts, die mir sagen, ich muss mich nicht schuldig fühlen. Das muss aus mir selbst heraus heilen.
Meine Super-Strategie war also „Rastloser Aktionismus“. Erledigung der nötigen Arbeitsschritte: Ärzte suchen, Gutachten anfordern, bei Ämtern durchkommen, Schulhilfe beantragen, Persönliches Budget durchsetzen, Eingliederungshelfer finden, Pflegegeld beantragen, Möglichkeiten des Nachteilsausgleichs recherchieren- immer weiter, immer weiter, ein Kaninchen nach dem anderen erlegen. Niemals ruhen. Und vor allem: niemals fühlen. Heute meine Königsdisziplin. Denken und machen. Nicht fühlen. Für Angst und Wut oder gar Trauer ist hier keine Zeit. Gibt auch keinen Grund, anderen geht es schließlich viel schlechter.
„Mein Kind entwickelt sich anders als andere. Das macht mir Angst.“ „Mein Kind wirkt unglücklich. Das macht mich so traurig.“ „Ich mache mir Sorgen, ob ich all dem überhaupt gewachsen bin. Ich fühle mich überfordert, bitte hilf mir.“ „Keiner hört mir richtig zu, niemand kann mir helfen. Das macht mich so wütend.“
Konstruierte Sätze, die ich so nie formulieren würde, ich weiß. Aber vom Prinzip ist es das, was ich hätte fühlen und mir eingestehen können. Hab ich aber nicht. Ich bin stattdessen weitergelaufen. Weg. Weg von mir. Machen andere auch? Kann sein. Das macht es aber nicht besser. Vielleicht werden deren Seelen nicht so wütend. Oder sie können sie noch besser Ignorieren als ich. Oder sie leiden einfach vor sich hin. Was weiß ich.
Ich jedenfalls konnte nicht mehr so weitermachen. Ich muss wieder ruhen, schlafen und essen. Wenn ich mit mir und meinen Liebsten ein gesundes Leben führen möchte, muss ich Umgang mit der Überforderung, der Wut, Angst, Trauer und Schuld erlernen. Dann werden Freude, Lust und Genuss auch wieder zu mir zurück kommen, da bin ich sicher.
Es hat also alles irgendwie mit meinem Aspi zu tun. Er ist nicht die Ursache für meine wütende Seele, sondern mein kläglicher Umgang mit den Emotionen, die dadurch bei mir aufgetaucht sind, und die ich seit so vielen Jahren wegdrücke.
Für ihn, seinen Bruder und den besten Ehemann der Welt, aber natürlich auch für mich selbst und alle anderen, die mir nahestehen, mache ich jetzt die Paartherapie mit meiner Seele.
Alles wird gut, würden manche jetzt sagen. Stimmt ja auch. Es wird gut. In drei Wochen oder in drei Monaten, hoffentlich nicht erst in drei Jahren.