…und merken wir was davon?
Ums gleich zu sagen: was Inklusion genau ist, kann ich auch nicht beantworten. Das ist auch nicht die Idee dieses Beitrags. Ich möchte viel eher erzählen, wie wir den Gedanken der Inklusion verstehen, und ob und wie uns gelebte Inklusion im Alltag begegnet.
Als ich über den Inklusionsbegriff nachgedachte, fiel mir auf, dass mir der Unterschied zur Integration nicht klar ist. Auf der Seite von Aktion Mensch e. V. wird Inklusion so beschrieben, dass Verschiedensein und Anderssein ganz normal und selbstverständlich ist. Integration hingegen bedeutet, dass man Andere in die Gruppe der Normalen gewissermaßen „einsetzt“, aber als geschlossene Gruppe. Das Besondere an Inklusion soll jedoch sein, dass Andere selbstverständlich unter Normalen leben, und dass dadurch alle gleichermaßen normal oder anders sind, unabhängig von Aussehen, Herkunft, Behinderungen, Religion usw.
Gut, denke ich mir, gehe zu meinem Großen und erzähle ihm davon. Und frage ihn, ob er findet, dass Inklusion schon gelebt wird. Er lacht laut auf und sagt: „Mama! ich hab eben gesehen, wie sich Tausende im Internet über eine lustig machen und das Maul zerreißen, die sich die Lippen mit irgendwas hat dicker spritzen lassen und bei der die Haare angeblich unecht sind. Wenn jeder wirklich selbstverständlich so sein dürfte wie er ist, dann würde das ja wohl kaum passieren!“ Ich war irgendwie verdattert, weil ich damit gerechnet hatte, dass er Inklusion auf sich selbst beziehen würde, und nicht auf eine renovierte Dame im WWW.
Ok, also wenn man jetzt mal den Gedanken beiseite lässt, dass „Teile der sozialen Informationsmedien der westlichen Welt“ mit gelebter Inklusion vielleicht keine Berechtigung mehr hätten: wie sieht es denn dann aus? Mein Großer zuckt mit den Schultern. „Weiß nicht. Wenn ich an unsere ganzen Termine beim Jugendamt denke, wo wir immer wieder aufs Neue alles erzählen und beantragen müssen, damit ich überhaupt mit normalen Kindern zur Schule gehen kann, find ich’s so mittel“.
Äh. Stimmt. Das war zwar wieder nicht die Antwort, die ich eigentlich hören wollte, ABER er hat nicht unrecht! Unsere Termine beim Jugendamt sind übrigens von absolutem Wohlwollen, Hilfsbereitschaft und Erfolg geprägt, und die Leistungen, die wir erhalten beruhen ja auf dem (grade erneuerten) Teilhabegesetz, aber mit „selbstverständlich“ hat das alles sehr wenig zu tun. Ich bin total dafür, dass immer wieder überprüft wird, ob jemand tatsächlich berechtigt ist, Steuergelder zu erhalten. Auch wenn es mühsam ist. Aber man ist natürlich immer eine/r der Anderen, abhängig von der Bewertung der Normalen.
Erleben wir denn jetzt gelebte Inklusion, oder nicht? Sind unsere Erfahrungen positiv oder negativ?
Der ein oder andere wird meine persönliche letzte Negativerfahrung vielleicht mitbekommen haben: Facebook zeigt viele meiner Beiträge nicht an. Es wird nie genau gesagt, weshalb, aber sie verstoßen offenbar gegen Richtlinien. Ich verstehe das! Ein Computer scannt alle Texte, und wenn diskriminierende Ausdrücke gefunden werden – wie in meinem Falle z. B. Behinderung – werden die Beiträge „aussortiert“. Ich erhalte dann regelmäßig einen Link, auf dem ich eine persönliche Überprüfung beantragen kann. Ich bin kein Wunderkind am Computer, aber ich bin auch nicht bescheuert- Der Link hat noch NIE funktioniert. Ich unterstelle keine Absicht, es ist einfach nur so: ich versuche mit meinen Beiträgen, den Austausch über das Thema Autismus zu beleben. Je mehr man über etwas weiß, desto weniger befremdlich wird es, und desto selbstverständlicher kann man damit umgehen. Quasi mein Beitrag zur Inklusion. Wenn die Texte aber in sozialen Medien nicht angezeigt werden, dann wird’s schwer! Behinderungen sind nicht selbstverständlich. Sonst würden Texte, die das Kind beim Namen nennen, und die damit beim Leser ganz langsam das Gefühl abstumpfen, durch Worte wie Behinderung peinlich berührt zu sein, nicht aussortiert werden, weil der Betreiber sonst Probleme bekommen würde.
Ich kenne einen Kindergarten, in dem sich die Kinder jetzt nicht mehr als Indianer verkleiden dürfen. Ich weiß, dass man auf diese Entscheidung durch viele verschiedene Brillen gucken kann. Durch meine Brille sieht es so aus, als seien Indianer irgendwie was „Unheimliches“, irgendwas, was nicht sein darf. Jedenfalls sind sie jetzt niemand mehr, der -im Gegensatz zu coolen weißen Cowboys- wie selbstverständlich unter uns sein darf. Es scheint wie eine Krux: Anti-Diskriminierung und Inklusion kommen hier nicht zusammen.
Nachdem die Berliner Mohrenstrasse nicht mehr so heißen darf, weil Mauren dunkle Hautfarbe haben (Pech, oder? Haste die falsche Hautfarbe, wird die Straße umbenannt, die dich eigentlich würdigen sollte), bin ich gespannt, wie Winnetoufilme ankommen, wenn Old Shetterhands Blutsbruder rausgeschnitten wurde.
So viele Dinge, die auf den wirklich tollen Gedanken der Inklusion einzahlen, werden heute aus Angst vor political incorrectness kaputt gemacht. Ich glaube, dass ganz viele Menschen Inklusion wirklich wollen, so erlebe ich es wenigstens. Wir haben unser Visier hochgeklappt und gehen offen damit um, dass wir Hilfe benötigen. Und wir sind so glücklich und erleichtert, dass wir Teilhabe- und Schulhilfe erhalten, und dass uns die neue Schule unseres Großen jetzt wirklich integriert hat (ich nutze dieses Wort bewusst, und ich finde es nicht schlimm, wenn er „nur“ integriert ist), und dass wir eine Familie und Freunde haben, die sich nicht am Anderssein des Großen stören, und für die es fast schon selbstverständlich ist – aber: aus meiner Sicht ist es bisher bei „Integration“ geblieben. Ist für uns aber kein Problem. Immerhin, würde ich sagen!
Es gibt ganz viele Aktionen und Bündnisse, auch Einzelpersonen, die sich um wirkliche Inklusion bemühen. Aber solange das Wort „Behinderung“ in sozialen Medien selbstverständlich als Verstoß gilt, kann sie unter uns nicht selbstverständlich gelebt werden.
Und jetzt bin ich mal gespannt, ob dieser Beitrag jemals auf der Facebook-Seite von Different Planet angezeigt wird…