…der ersehnte zweite Teil der Schulhelferin
Am 20. März 2021 hat die Schulhelferin meines Großen von der gemeinsamen Zeit auf der Grundschule berichtet („Es wirkte alles so normal“). Mit dem Wechsel auf die weiterführende Schule begann eine neue, aufregende Zeit – das erste Jahr ist nun rum, und sie erzählt, was sie erlebt hat: Von der Grundschule aufs Gymnasium. Von 100 Kindern zu 1.000. Von behütender Pädagogik zu Leistungsanspruch. Ein Asperger und seine Schulhelferin – Hand in Hand:
„Geschafft: das Gymnasium lässt sich auf uns ein 🙂 Kurzentschlossen kündigte ich mein Arbeitsverhältnis an der Grundschule und nahm gemeinsam mit L. die neue Herausforderung an.
Direkt in der ersten Woche steht eine Kennenlernfahrt mit der neuen Klasse an!!! Die Königsdisziplin für Asperger-Autisten… doch er wird krank, bekommt hohes Fieber und verpasst die ersten Tage in der neuen Schule und die Klassenfahrt. So ging ich am ersten Tag ohne L. in den Unterricht. Viele Fragen von den neuen Mitschülern kommen auf mich zu, und ich merke schnell: auch in der neuen Schule hat L. Glück mit seinen Klassenkameraden: ein offenes Wort trifft bei Jugendlichen ja oft auch auf ein offenes Ohr, und genau so schien es hier zu sein.„
Kurzer Einschub von der Frau Mama: Ich fand es unglaublich toll, dass I. am ersten Tag alleine in den Unterricht gegangen ist. Sie war ja allen noch unbekannt. Eine erwachsene Frau zwischen all den Kindern, und keiner weiß, wer sie ist. Sie hat sich den Fragen gestellt und offensichtlich den Weg geebnet, damit mein Großer in der anschließenden Woche gut aufgenommen werden konnte. Ich hab derweil zu Hause das hoch fiebernde Kind bewacht und erst sehr darunter gelitten, dass er die erste Woche verpasst. Weil ich immer leide, wenn ein Plan ins Wanken gerät. Heute, fast ein Jahr später, denke ich, dass das Fieber seinen Sinn hatte. Er ist trotzdem gut angekommen. Oder vielleicht genau deswegen. Natürlich hätte ich zur Kennenlernfahrt mitkommen müssen und können, alles war organisiert. Aber wäre es gut gewesen? Lauter 12jährige und einer mit Mama im Schlepptau? Ohne Vorwarnung?! Ich weiß ja nicht…
„Im Leben besteht die Kunst darin , das richtige Verhältnis von Loslassen und Festhalten zu finden“ – Mit diesen Gedanken und mit einem aufgeregten Gefühl begann ich mit L. dann den ersten richtigen Schultag an der neuen Schule! Ich machte mir tausend Gedanken: Wie denken die Lehrer über das Verhalten meinerseits? Wie bringen sie mich und L in Verbindung ? Haben sie Vertrauen in meine und L.s Arbeit? Wie fühlt es sich für sie an, immer einen Erwachsenen ( „Aufpasser“ ) zwischen den Reihen zu sehen ? Erkennen sie die Notwendigkeit der Betreuung von L.? Bringt es Unruhe in die Dynamik der Klassenstruktur ?
Vorab: Es braucht alles seine Zeit 🙂 Auch die Lehrer brauchten Zeit , um unser Team kennenzulernen. Meine Erwartungen waren sehr hoch, verständlich, da ich ja die kognitiven Fähigkeiten von L. gut kenne. Er hat das Zepter durch sein Können und Wissen dann selbst in die Hand genommen .
Recht bald gab es eine Testung des Schulpsychologischen Dienstes im Unterricht. Deren Wertung war eindeutig: Ls. Schulbegleitung (also ich) ist inhaltlich nicht aktiv. Dadurch haben wir ein gutes Stück Vertrauen von den Lehrern erhalten.“
Ich muss auch noch mal was sagen: denn ehrlich gesagt -ich war damals befremdet. Nicht dass Testungen nicht quasi zu unserem Alltag gehören, aber so ohne unser Wissen? Muss das sein? Mir war auch gar nicht klar, wozu das gut sein sollte. Hinterher hab ich dann verstanden, wozu es gut war: es wurde gewissermaßen von unabhängigen Experten bestätigt, dass I. nicht „vorsagt“, sondern tatsächlich die autistisch bedingten Defizite ausgleicht, um für L. im Unterricht die gleichen Voraussetzungen zu schaffen, die Nicht-Autisten auch haben. Na – da sind wir doch wohl auf dem richtigen Weg! Ich war da ja auch nicht immer sicher!
„Der Austausch zwischen den Lehrern, L.’s Eltern und mir wurde immer ausführlicher, später konnten wir nach dem Beispiel des sog. Hamburger Modells auch Stunden reduzieren. Und die Entscheidungen, die ich im Unterricht für L. traf, immer in Absprache mit den Eltern, durften umgesetzt werden.
Genau das war der richtige Start! Wir fühlten uns jetzt total wohl! Und dann kam Corona…
Für unser Team (L., seine Eltern und ich) mal wieder eine neue Herausforderung, die sich für unseren L. jedoch im ersten Moment perfekt anfühlte! Struktur ohne soziale Reize – super! Wir trafen uns nun bei mir zu Hause, zwanzig Fahrradminuten für L von zu Hause, zum Fernunterricht. Nun begann selbständiges, planmäßiges und strukturiertes Arbeiten, für das wir uns Zeit nehmen konnten. Es schien genau der richtige Weg zu sein.
Und dann kam die Pubertät dazu… Er wollte nun alle Entscheidungen selber treffen: wann welcher Ordner wo auf dem iPad abgespeichert werden muss, welche Hausaufgaben wann wohin gesendet werden, ob parallel ein analoger Ordner zu führen ist… plötzlich mussten auch mal Klassenkameraden angerufen werden um was zu fragen, oder noch schlimmer: DIE riefen an und er sollte Auskunft geben. Und die größte Herausforderung: den von außen vorgegebenen Zeitplan einhalten…“
Wenn ich als Mama noch mal darf: natürlich ging das allen Kindern so, und vielen Erwachsenen auch. Doch Handlungsplanung und -einhaltung ist mit einer autistischen Störung offensichtlich noch tausend Mal schwieriger als für uns Normalos…
„Einiges ging schief, aber vieles hat auch hervorragend funktioniert. Zeit, Geduld und Vertrauen sind die Schlüsselwörter. Ich habe im vergangenen Jahr viel gelernt – und wie heißt es so schön: Im Leben besteht die Kunst…
Und zum Schluß noch ein Satz von L.: „ Ich freue mich wieder auf die Schule, man lernt einfach mehr. Und Du I., Du bist ja dabei!“