Das Ende des Lockdowns. Endlich??
Puh – es ist in Sicht! Das Ende des Lockdowns naht. Die Nachrichten sind zwar noch widersprüchlich, aber von der Möglichkeit, dass der Lockdown jetzt NICHT endet, will niemand mehr was hören. Echt niemand?
Also, ich für meinen Teil drehe ja bald durch. Jeden Pups muss man im Internet bestellen, ich kann diese Kisten nicht mehr sehen. Ja logo, man kann alles irgendwie auch offline kaufen. Neues Küchenmesser? Supermarkt. Badvorleger? Supermarkt. Handschuhe für die Kinder? Supermarkt. (Beim „Kaffeeanbieter“). Blumen? Supermarkt. Ist doch klar. Und dann bewegt man sich auch noch ständig im illegalen Bereich… -nee, nee, ich feier keine Parties! Das geht schneller: Mutter holt Besuchskind ab, und weil es draußen gefühlte minus hundert Grad hat, kommt sie kurz rein und wir unterhalten uns. ILLEGAL! Wir treffen uns zum Rodeln im Park, aber auch die andere Mama bleibt dabei. Wir sind also vier Personen aus zwei Haushalten. Das ist ILLEGAL. Im Außenbereich! Währenddessen schreibt das Ordnungsamt kräftig die Falschparker auf. Da man sonst nirgendwo hinkann, fahren alle zu den Parks (nee, hat nicht jeder in Laufnähe vor der Tür), und da werden die legalen Parkplätze irgendwann knapp. Öffis fahren soll oder will man ja auch nicht. Also parken wir ILLEGAL. Und bekommen Strafzettel. DANKE für den Zusammenhalt und die Freundlichkeit in dieser Zeit, ja, die Gesellschaft rückt so herrlich zusammen. (So ein eigener Blog, auf dem man einfach so schreiben kann, was man will, ist ja herrlich!).
Zum Thema: Es gibt welche, die freuen sich gar nicht auf das Ende des Lockdowns: Meine Freunde mit anderen Kindern sehen dem Wiederbeginn des Präsenzunterrichts mit Schrecken entgegen. Wieso? Sind das etwa HomeSchool-Fans, oder was? Nein, eigentlich nicht. Aber: die ganzen anderen Kinder profitieren grade. Davon, dass sie nicht auf soziale und sonstige Reize reagieren müssen, und davon, dass sie da draußen nicht so tun müssen, als seien sie normal, so wie ihre Mitschüler. Die Schlafqualität hat sich bei vielen verbessert, und auch das von Experten so nett titulierte „herausfordernde Verhalten“ der kleinen und großen Autisten/AD(H)S-lern und „Mischtypen“ hat sich bei vielen abgemildert. Während die vorher unauffälligen Kinder langsam merkwürdig werden, wirken die anderen Kinder zunehmend normaler. (Falls man von jeder Sorte eins hat, nähern die sich also grad einander an…)
Dem Schreckgespenst „Präsenzunterricht“, das vor allem deshalb so bedrohlich wirkt, weil es ja eine Entwöhnung davon gegeben hat, und der Re-Start irgendwie gelingen soll, wird durch die Idee des Teilungsunterrichts noch eins draufgesetzt. Damit meine ich das Modell, in dem in der einen Woche Gruppe A, und in der nächsten Woche Gruppe B Präsenzunterricht hat. Damit ist dann wirklich jede Struktur dahin, völlig unübersichtlich und überfordernd für die Kinder. So fürchten es zumindest ihre Eltern. (Abgesehen davon frage ich mich, wie das für die berufstätigen Eltern gehen soll. Es wird eine logistische Meisterleistung, die Präsenzen der Mütter und Väter mit den Präsenzwochen der Kinder und des gesamten Kollegiums zu koordinieren, unter denen ja auch ganz viele Eltern sind! Allerdings: Falls die Mitarbeiter der Gesundheitsämter auch dieser Idee ausgesetzt sein werden, brechen die Faxgeräte vermutlich endgültig zusammen, und wir werden auf eine 10er-Inszidenz warten müssen, bis wir wieder vor die Tür dürfen! Damit hätte sich das Problem von selbst erledigt.)
Aller Zynismus und alles Jammern hilft nichts: Es muss früher oder später zur Schule zurückgekehrt werden! Seit dem das klar ist, können unsere Nächte sowieso kaum noch schlimmer werden, da können wir dem Tiger auch gleich ins Maul schauen. Also los, dachte ich mir vor einigen Tagen und habe mal wieder online Expertenrat eingeholt, um mir noch einmal zu vergegenwärtigen, was eigentlich Schulalltag bedeutet, und was es den Asperger-Autisten, die ja auf Regelschulen angewiesen sind, eigentlich so schwer macht. Es soll ja helfen, sich mit seinen Ängsten auseinanderzusetzen…
Da bin ich wieder bei der Stiftung Liebenau gelandet, die das sehr gefällig verdeutlicht (den Link findet Ihr am Ende des Textes). Die Vermittlung von Unterrichtsstoff basiert heutzutage offenbar auf den Erkenntnissen, dass Kinder leichter lernen, wenn sie es gemeinsam tun, und wenn sie dabei interagieren, wie z. B. sich gegenseitig etwas zu erklären, oder Fragen mit gemeinsamer Recherche nachzugehen. Da haben wir schon das erste Problem: Leider haben die wenigsten Kinder mit autistischen Störungen die Fähigkeit zu passender sozialer Interaktion. Sie erkennen kaum, ob ihre Lerngruppe grade vergnügt oder angespannt ist, ob ein Streit naht, oder ob gar eine bestimmte Verhaltensweise von ihnen gefordert wird. („Ok, wenn du alles aufschreibst, übernehme ich das Abheften.“). Manchmal erfordert es auch die Situation, dass man etwas freundliches formuliert, einfach, damit die Stimmung gut bleibt. („Wow, das alles hast du über Zebras rausgefunden? Das ist ja toll! Es hilft unserem Referat über Kaulquappen jetzt noch nicht so wahnsinnig, aber das kann ja noch werden.“). Und die nach meiner Erfahrung schwerste Disziplin: DIALOG. Der andere darf auch sprechen! Und zwar in etwa gleichen Anteilen wie man selbst, und MAN HÖRT IHM AUCH ZU.
Letzteres ist nach meinem Dafürhalten wenigstens etwas, was man üben kann. Was wir zu Hause übrigens auch tun. (Das i-Tüpfelchen wäre, wenn die eigene Antwort dann wieder das berücksichtigt, was der Andere grade gesagt hat, aber das ist kein exklusiv autistisches Problem…). Die erforderlichen Fähigkeiten der ersten beiden Beispiele kann man nicht „beibringen“. Man kann gucken, ob sich das bei regelmäßiger Übung entwickelt, aber eigentlich sind das autistische Hauptmerkmale, die sich leider nicht anpassen.
Darin verwoben sind natürlich auch die Probleme mit der vielbeschworenen Theory of Mind, also – kurz gesagt – der Fähigkeit, sich an sein Gegenüber anzupassen, zu verstehen, was er mit dem Gesagten tatsächlich meint, und wie ich seinen „Gesamtauftritt“ interpretiere. Für den Fall, dass ein autistischer Schüler der Empfänger des Satzes mit den Zebras und den Kaulquappen wäre, würde er glauben, der andere wäre wirklich begeistert davon, was er alles über Zebras weiß und beim nächsten Mal entsprechend weiteres Wissen dazu präsentieren. Damit wird seine Beliebtheit als Lernpartner vermutlich immer weiter abnehmen.
Und alle, die ein autistisches Kind zu Hause haben, haben im psychiatrischen Gutachten von der Beeinträchtigung der zentralen Kohärenz und beim zielorientierten Handeln gelesen. Erfahren haben wir es, als unser Kind die schwarzen Striche gezählt hat, anstatt zu schreiben: „dieses Bild zeigt einen Barcode“, um anschließend das Aufgabenblatt zur Seite zu legen um über schwarz-weiße Muster nachzudenken, anstatt die Arbeit zu beenden. In der ersten Klasse heißen unsere Kinder „verträumt“. Ab der vierten dann langsam aber sicher „unbeschulbar“.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal mein Plädoyer für Diagnosen unterstreichen. Ich bekomme auch Feedback wie „das ist doch alles egal und vom System gemacht. Alles, was Kinder brauchen, ist, sie so zu lieben, wie sie sind.“ Das mag in den eigenen vier Wänden stimmen, aber was wir unseren Kindern im Bereich der Bildung vorenthalten, wenn sie nicht ordentlich diagnostiziert sind – denn nur so bekommen sie Hilfe – ist nicht zu kompensieren. Liebe bedeutet auch, ihnen ein selbstwirksames und eigenständiges Leben zu ermöglichen, und das geht langfristig nur über Bildung. Und solange Autisten Regelschulen besuchen, benötigen sie Unterstützung, um an Bildung teilhaben zu können. Und die – genau: Gibt’s nur mit Diagnosen.
Wir haben ja die weltbeste Schulhelferin. Sie unterstützt bei all den oben beschriebenen Problemen. Sie hilft unserem Großen, an Bildung teilzuhaben, und sie hilft seinen Mitschülern und Lehrern dabei, zu verstehen, wo die Probleme liegen. Sie ist in Lerngruppen das „soziale Relais“ und bei Arbeiten der Übersetzer der Aufgabenstellung – nicht der Vorsager der Lösung. Und wir haben den weltbesten Teilhabehelfer, der – sofern die Pandemie nicht wütet – soziale Situationen übt, ein positives Selbstbild aufbaut, das Üben von Dialogen ergänzt und noch vieles mehr. (Dass wir die beiden nur haben, weil wir eine Diagnose haben, erwähnte ich?)
Der Lockdown wird zumindest für Kinder bald enden. Alles andere wäre Wahnsinn. Und Präsenz- oder HomeSchooling, Teilungsunterricht mit A- und B-Wochen oder andere Modelle: es wird schon irgendwie werden. Es wird anstrengend, besonders der Übergang, aber unsere Kinder schaffen das! Alle, auch die anderen.
Kann man aus dem Lockdown etwas mitnehmen? Die Idee, dass es vielleicht doch möglich ist, eine Schulform für Asperger-Autisten zu finden? Eine Erweiterung des Hamburger Modells? Eine strukturierte Kombination aus Präsenz- und Online-Unterricht? I have a dream. Haben auch schon andere gesagt…
Und hier der angekündigte Link, für alle, die es genauer wissen wollen: