Ein Bericht über Marcus*, der einen Job gefunden hat, in dem er sich sehr wohlfühlt.
Vor fünf Wochen ist auf Differentplanet ein Artikel über Diversicon erschienen, ein Berliner Start Up, das sich darauf spezialisiert hat, Menschen im Autismusspektrum auf dem Weg in das Berufsleben zu begleiten. („Autisten suchen keine Fehler. Autisten finden sie.“ – DifferentPlanet)
Heute können wir uns über eine Art Fortsetzung freuen – nämlich über den Bericht von Marcus*, der von seiner Zeit bei Diversicon erzählt, und wie es sich in seinem neuen Job anfühlt.
Marcus ist heute 54 Jahre alt und hat erst mit 50 die Autismus-Diagnose erhalten. Daraufhin ist er zu Diversicon gegangen, um zunächst deren Kursangebot in Anspruch zu nehmen.
„Schon am ersten Tag spürte ich mit Erleichterung, dass ich nicht „allein“ auf dieser Welt bin. Es war für mich äußerst entspannend, mich vor dem Coaching-Team und in der Kursgruppe erstmals authentisch zeigen zu können, und meine Probleme offen und ungehemmt zum Ausdruck zu bringen.“, erzählt er.
Beruflich gestartet war Marcus in den 80er Jahren als Discjockey und produzierte Mixing-Tapes für Berliner Radiosender und Musik-Cafés in seinem Tonstudio in Berlin-Neukölln. Musik ist seine Leidenschaft, aber es lief natürlich nicht nur „rund“:
„Schon damals hatte ich große Probleme soziale Kontakte zur Selbstvermarktung zu knüpfen, und vor Publikum zu sprechen, so dass ich immer auf fremde Hilfe angewiesen war,…“
Man muss kein Autist sein, um Probleme mit „Selbstvermarktung“ zu haben. Da es aber zum Autismusspektrum gehört, sehr reiz- und stressempfindlich zu sein und auch ein anderes, eigenes Verständnis für soziale Situationen zu haben, bewundere ich die Entscheidung, sich als „freier Kreativer“ ins Berliner Kulturleben zu stürzen, doppelt!
Marcus ließ sich nicht abbringen und brachte sich später selbst noch die „…benötigten Kenntnisse in IT, Grafik- und Webdesign..“ bei, denn er wollte zukünftig auch „…eigene Soundtracks mit dazugehörenden Covern und eigenen Webseiten gestalten.“
Mitte der 2000er Jahre änderte sich sein privates Leben und auch die Berliner Kulturszene, so dass er sich beruflich neu aufstellte: „… arbeitete ich zeitlich befristet für ein Berliner Immobilienunternehmen, und als Computerdozent an Berliner Grund- und Sekundarschulen.“ Anschließend ließ Marcus sich zum „Heilpraktiker für Psychotherapie“ ausbilden.
Natürlich ist das keine ganz klassische, stringente Erwerbsbiographie, aber sie zeigt einen Menschen, der nicht nur weiß, was er will und kann, sondern auch einen, der sich wechselnden Bedingungen anpassen kann und sich selbst zu helfen weiß. Das ist aus meiner Sicht mehr als ein guter Anfang!
Kurze Zeit danach erhielt er seine Diagnose und kam zu Diversicon, wo er bald das Gefühl hatte „…eine ganz besondere Art neuer Freunde gefunden zu haben.“
Und wie ging es dann weiter?
„Während meiner Zeit bei Diversicon wurde mir vom Jobcenter eine Teilzeitstelle in einem Unternehmen vermittelt, wo ich Dokumente und Bildmaterialien digitalisiere, bearbeite und vervielfältige. Das Unternehmen hat sich zwar auf die Einstellung von Menschen mit Schwerbehinderung spezialisiert, war aber beim Thema Autismus noch unerfahren.
Darüber hinaus wurde die Unternehmensphilosophie nicht von allen Firmenmitgliedern unterstützt, was anfangs zu Spannungen führte.
Mit beratender Unterstützung von Diversicon vor Ort konnten diese Spannungen reduziert werden. Seitdem ist es ein tolles Arbeitsklima, indem ich vielfach Empathie, Unterstützung und Anerkennung erfahre.
Auf jeden Fall behalte ich nebenbei meine musikalische Entwicklung als Rock-Musiker alias Rock Therapeut, und insbesondere den Heilpraktiker für Psychotherapie weiter im Blickfeld.
Und wenn das nicht reicht, dann gibt‘s ja noch Diversicon.“
Ich kann Marcus ja nur beglückwünschen! Wieder ist er in einem Arbeitsumfeld angekommen, das ihn zufrieden macht. Es wirkt, als würde er nicht damit hadern, Autist zu sein, und er hat bei Diversicon kompetente Ansprechpartner gefunden, an die er sich wenden kann, falls es doch wieder mal „hakt“. Richtig gut!
Eines interessiert mich aber noch: Wie versteht Marcus Autismus?
„Menschen im Autismus-Spektrum sind ganz besondere Persönlichkeiten, mit speziellen individuellen herausragenden Fähigkeiten und Eigenschaften im Denken, Handeln, Fühlen und Wahrnehmen.
Im Gegensatz zu Menschen ohne Autismus können diese jedoch sehr unterschiedlich stark oder gemindert ausgeprägt sein, woraus Anpassungsprobleme im sozialen und kommunikativen Bereich resultieren können.
Kommen aber autistische Menschen an Aufgaben oder Situationen, welche genau in ihr Spektrum passen, können sie ihr volles Potential entfalten und überdurchschnittliche Leistungen erbringen.
Vielleicht vergleichbar mit einer Rose, die zur passenden Zeit am passenden Ort ihre volle Schönheit und Wirksamkeit entfalten kann, aber ebenso schmerzhaft sein kann, wenn man sie falsch an den Dornen berührt.“
Das ist ja ein schönes Bild!
Gibt es aus Marcus‘ Sicht noch mehr zu wissen?
„Laut Statistik sind etwa 1% der Bevölkerung im Autismus-Spektrum, wobei jeder autistische Mensch individuell und einzigartig ist. Vorurteile über mangelnde Empathie sind ebenso falsch, denn es gibt auch autistische Menschen mit überdurchschnittlicher Empathie und Sensibilität.“
Damit wären wir wieder bei meiner Lieblingsbeschreibung autistischer Menschen: „Kennste einen Autisten, kennste einen Autisten.“
„Verschieden ist Normal“, sagt Diversicon. Sagt Marcus auch.
Ich sag es auch, denn so ist es wohl. Und das ist auch gut so!