„Mund ausspülen. Super. Jetzt die Zahnbürste sauber machen. HALT! Stop! Nicht weggehen- Zahnbürste erst noch sauber machen. Und Hände waschen. Mit Seife. Wasser an, genau, prima. Seife nehmen. … Reiben! Nein! Die Hände! Die Seife in den Händen verreiben. Ja, so“ – „Weißt du, Mama,…“ – „Jetzt nicht, erst fertig waschen, dann erzählst du mir das.“ – „…als ich vorhin das Hörspiel…“ – „JETZT NICHT. Gleich. Noch abtrocknen.“ – „…da hat der grüne Ninja…“ – „GLEICH!“
Is klar, oder? Mama mit Kind im Bad. Muss alles mühsam gelernt werden, die nötigen Schritte müssen angeleitet werden: Hände nass machen, Seife nehmen, Hände reiben, abspülen, im besten Fall werden die auch noch abgetrocknet.
Kinder interessiert das natürlich nicht. Sie sehen keinen Sinn im Zähne putzen oder Hände waschen. Dennoch achten wir als Eltern täglich darauf, und irgendwann wird es für das Kind normal, und die Abläufe schleifen sich ein – Nachdem die Zähne geputzt sind, spült man sich den Mund aus und macht die Zahnbürste sauber. Sind die Hände erstmal nass, kommt die Seife, die verreibt man, spült sie wieder ab und trocknet sich die Hände. Sonnenklar. Autopilot.
Hm. Bei uns irgendwie nicht. Der kleine Bruder wird jetzt fünf und kommt in die Vorschule. Autopilot beim Händewaschen? Fehlanzeige. Beim Zähneputzen? Weit entfernt. Anziehen? Keine Chance. Ich muss daneben sitzen bleiben und ihn immer wieder erinnern: „Zieh bitte deine Hose an!“ – „Ja.“ – „Jetzt.“ – „Ok.“ – “Kind?“ – „Ja?“ – „Du sollst die Hose anziehen.“ – „Ach ja! Stimmt!“ – „Also gut. Ich gehe mir jetzt die Zähne putzen und wenn ich gleich zurück komme, ist die Hose an, ok?„ – „Ja.“ – … – „KIND!“ – „Ja?“ – „Was ist jetzt mit der Hose, wir MÜSSEN uns beeilen, jetzt mach doch mal endlich!“ Kind fängt an zu weinen. „Wieso hast du mich denn jetzt angeschreit?“ Oh Mann.
Ich dachte anfangs immer, er träumt. Aber er träumt ganz und gar nicht! Er ist sogar hoch konzentriert! Auf sein Spiel. Er bastelt mit unglaublicher Ausdauer seine Lego-Figuren zusammen, hört das dazu passende Hörspiel und ist in seiner Welt versunken. Er ist glücklich. Er will nirgendwo hin. Außer zu seinem Freund. Lego-Spielen, die gleiche Welt, die er dauerhaft bespielt. Dann klappt’s auch mit dem Anziehen. Und mit dem Zähne putzen. Der Autopilot fliegt da quasi ne Modrakete, so schnell und perfekt geht das. Er kann es! Er will nur meistens nicht. Seine Spiel-Welt ist immer wichtiger.
Ist das normal? Ja, glaub schon. So sind (viele) Kinder. Aber: ich finde es bei meinem Kleinen einseitig. Es gibt nicht zwei, drei oder vier Aktivitäten, für die der Autopilot zum Einsatz kommt. Kein Schwimmen, keine Verabredung (außer der einen zum Lego-Spielen), keine Unternehmungen, die ihm schonmal Spaß gemacht haben – nur diese eine Spielwelt. Und seit NEUN Monaten die gleiche. Also die gleiche gleiche. Nicht eine abgewandelte gleiche. Oder eine ähnliche. Sondern die gleiche. Die selbe, quasi. Sein großer Bruder kann ihn halbtageweise mal für eine etwas andere Welt interessieren. Aber dann geht er immer wieder seine „angestammte“. Und es ist nicht so, dass – nachdem ich ihn mühsam überredet habe, einen Ausflug mit uns zu machen, oder andere Menschen mit anderen Kindern zu besuchen – es ihm nicht gefällt! Im Gegenteil, meistens ist er total happy und erzählt hinterher ausführlich und stundenlang davon – und dann geht er wieder seine Welt, und zum nächsten Ausflug muss man ihn erneut laaaaaange überreden.
Es ist diese „mangelnde Vielfalt“ in seiner Neugier, die mich irritiert. Und dass er am liebsten in seinem Zimmer in der immer gleichen Spielwelt ist. Mal alleine, mal dürfte man daneben sitzen und mitspielen. Und dass man ihn auch zu Dingen, die ihm schon Spaß gemacht haben, jedes Mal neu überreden muss. Ihn loszureißen und zu überzeugen, „das Setting“ zu wechseln ist wirklich schwierig, und manchmal scheitere ich. Mein Eindruck von anderen vier bis fünfjährigen Kindern ist da ehrlich gesagt anders. Die hätten sich heute zu einem Spaziergang ans Meer mit Sandburg bauen und Eis essen überreden lassen. Behaupte ich. Aber bei meinem kleinen Rumpelstilzchen: Keine Chance. Nur die immergleichen Hörspiele, die immergleichen Spielfiguren… BIS, ja BIS die Mutter seines eines Freundes anrief, dass er gerne noch zum Legospielen kommen könnte. Da zündete die Mondrakete heute doch noch!
Neulich, kurz vor diesem Traumurlaub, war ich mit beiden Kindern wieder bei der Kinder- und Jugendpsychiaterin. Wir gehen in regelmäßigen Abständen zum „Vorstellen“. Das soll wohl so sein, und es erscheint mir auch sinnvoll.
Da ja auch beim Kleinen schon seit einiger Zeit zumindest eine Entwicklungsverzögerung diagnostiziert ist, wird das Asperger-Thema natürlich auch beim ihm im Auge behalten. Schließlich wäre im nächsten Sommer Schuleintritt und FALLS, dann könnte man sich schonmal über mögliche Hilfestellungen Gedanken machen.
Die nette Ärztin unterhält sich also mit dem Kleinen Bruder. „Gehst du in den Kindergarten? Hast du Freunde, gehst du gerne, spielst du mit deinem Bruder…“ und so weiter.
Nachdem das Q&A mit beiden Kindern vorbei ist, gehen sie auf meinen Wunsch nach nebenan. Ich möchte nicht mehr vor anderen über sie reden. (s. Beitrag „Ich will Kontakt zu anderen Kindern“ vom 25.4.20)
„Was ist Ihr Eindruck vom Kleinen?, frage ich sie. Abgesehen von ihrer Feststellung, dass auch er keinen Blickkontakt hält, sagt sie einen dieser Halbsätze, einen von der Sorte, die beim Anderen (also mir in dem Fall) den Groschen fallen lassen: „wenn er antwortet, überlegt er erstmal. Er sammelt seine Gedanken. Man merkt, dass bei ihm immer ein zweiter Film läuft.“
Ein zweiter Film!?
BÄM! Dieses Bild trifft bei mir ins Schwarze, ich kapier’s plötzlich! So oft hab ich überlegt: was macht der Kleine? Wo ist er? Was lenkt ihn so ab? Ich hab mich in seinem Zimmer umgesehen und versucht, durch seine Augen die Umgebung wahrzunehmen. Da war nicht viel. Seine Spielsachen, sein Bett, seine von ihm zugezogenen Vorhänge. Da ist nichts. Aber da muss auch nix sein, denn es ist ja in ihm.
Ich frage nach: wie meinen Sie das? Und ich lerne, dass der Hauptunterschied zwischen Aspergern und AD(H)S die Art der Ablenkung ist. Während die ADHS Kinder sich permanent von außen ablenken lassen, werden die Asperger von sich selbst, von ihrer inneren Welt abgelenkt. Sie denken immer noch über was „Inneres“ nach.
Oh Gott, wie anstrengend ist das denn bitte? Kein Wunder, dass er nach dem Kindergarten nur in seinem Zimmer liegt und zu seinem Hörspiel fähig ist. So kann er bei dem einen, inneren Film seiner Spielwelt bleiben. Beim Schwimmkurs, Ballstunde, Verabredung, …laufen nach der Theorie ja zwei. Puh.
Dazu passen die leider beginnenden Einschlafprobleme. Die kamen beim Großen viel später, erst so mit sechs Jahren. Gestern hat der kleine Kerl mal wieder fast ZWEI Stunden gebraucht um wirklich einzuschlafen… obwohl er SO müde war. Obwohl ich so tapfer vorgelesen habe. Obwohl ich mich eine knappe Stunde an seinem Bettrand fest umklammern liess. Nix half. Ich war schon längst neben ihm eingeschlafen, aber ihn hat das Sandmännchen irgendwie nicht so recht zu fassen bekommen. Seufz. Nach knapp zwei Stunden sind wir dann gemeinsam in mein Bett übergesiedelt. Ich musste einfach schlafen, es war ja fast Mitternacht. Und da mein Großer meist so gegen 02h morgens durch die Räume geistert und nicht schlafen kann, dachte ich – jetzt oder nie!
Die Ärztin, die sehr gewissenhaft und besonnen ist, und ich, wir sind uns einig: Das alles macht noch keinen Asperger. Wir behalten es im Auge, und für eine Diagnose ist es zu früh. Mir ist es ehrlich völlig egal, ob er auch autistisch ist, oder nicht. Das einzige, was ich mir wünsche, ist eine eindeutige Diagnose. So Grauzonen und Vielleichts sind nicht so mein Ding.
Was ist denn mehr so mein Ding? Meine Kinder! Die sind super! Die sind besonders, wie ALLE Kinder! Sie sind so unterschiedlich, so fröhlich, so lieb zu mir, sie sind interessant und interessiert. Ich habe sie so gerne bei mir, am Tage und oft sogar nachts. Sie sind anders als andere Kinder, aber ALLE Kinder sind anders als andere Kinder. Ich liebe meine auf meine Weise, und ihr liebt eure auf eure Weise. Behaupte ich.